„Wully is weg!“

0:0 gegen Hoffenheim – und ein verloren gegangener Mönch

 

Sonntag, 19.08.2007, neun Uhr dreißig. Andere schlafen noch, als die Aasee-Mönche den Zug nach Gladbach besteigen. Vorerst zu zehnt – der Präsident steigt erst zu. Das erste Heimspiel der Zweitliga-Saison 2007/08 steht an. Um 14 Uhr empfängt der VfL im Borussia-Park den Rangnick-trainierten, SAP-finanzierten, reichlich ambitionierten Aufsteiger TSG 1899 Hoffenheim.

Die Anreisezeit ist großzügig kalkuliert. Nach dem komplikationsfrei verlaufenen Transfer vom Rheydter Bahnhof in den Nordpark bleibt noch genug Zeit für ein Bierchen im Fanhaus oder Shopping im Fanshop. Während Doc dort sein schickes, doch leider zu knapp sitzendes Träger-Top umtauscht, decken sich andere Mönche mit günstigen Fanprojekt-Shirts ein – gerne auch in Zweit-Ausführung. Dazu gibt’s je eine Autofahne gratis. Was wiederum Paddy verärgert, der für solch ein Kleinod vor geraumer Zeit noch stattliche sechs Euro berappt hatte…

In der Kurve angekommen, wird erstmal der neue Israeli gesucht – und schließlich auch gefunden. Zusammen mit seinen Knipser-Kollegen Neuville, Friend, Rafael und Touma (the Puma) muss er zunächst auf der Bank Platz nehmen. Dafür beginnt Rösler als einzige Spitze, was nicht jedem der etwa 40.000 auf den Rängen anwesenden Trainer so recht gefallen will. In Anbetracht der stattlichen Anzahl von immerhin gut 250 angereisten Pilgern aus Hoffenheim droht der Gästeblock aus allen Nähten zu platzen. Endlich geht’s los.

Doch der Auftakt verheißt nix Gutes: Der erste Schuss aufs (Gladbacher) Tor landet gleich mal am Pfosten. Wenig später muss Heimeroth in höchster Not klären, als ein Hoffenheimer vor ihm frei durchkommt. Dann beruhigt sich das Spiel etwas. Abgesehen von einer Kopfball-Riesenchance durch Rösler passiert im Grunde gar nichts mehr. Pause.

Wer gehofft hat, in der zweiten Liga würde alles besser, sieht sich heute auf den harten Boden der Realität zurückgeholt. Kaum einer läuft, kaum einer kämpft, kaum einer spielt, kaum einer schießt. Macht eigentlich überhaupt einer irgendwas? Na gut, Marin. Aber sonst…

Zur zweiten Hälfte kommt ein Stürmer. Dieser wahrhaft mutige taktische Winkelzug unseres holländischen Trainers nötigt mir Respekt ab. Und siehe da – er scheint sogar Wirkung zu entfalten. Gladbach schnürt die Gäste nun geradezu vor der Nordkurve ein. Haushohe Überlegenheit nennt man das wohl. Leider kommt nichts dabei rum. Obwohl sich die Hausherren Chance um Chance erarbeiten, fällt kein Tor. Das alte Leid. Die Fans fordern Polen-Bezwinger Neuville, und Luhukay wirft ihn tatsächlich ins kalte Wasser! Doch auch das ändert irgendwie nix. Als der Schnauzbart Minuten vor dem Abpfiff seine letzte Einwechslung androht, verliert Präsident Paule fluchend die Fassung. Zwar entpuppt sich der vermeintlich zur Einwechslung heranspurtende Nando Rafael bei näherer Betrachtung dann als Marvin Compper, doch was dieser zu einer schlagkräftigen Schlussoffensive beitragen sollte, blieb ein wohlbehütetes Trainer-Geheimnis. In den letzten Minuten noch mal zwei Top-Torchancen, die (natürlich) ungenutzt bleiben, dann ist Feierabend. 0:0.

Etwa eine halbe Stunde später befinden sich die Mönche auf dem Weg zu den Shuttle-Bussen. Zumindest fast alle. „Wully is weg!“ bemerkt Meikel, sein Handy zückend. „Gerade auf der Treppe war er doch noch hinter mir!?“

Sekunden später. Meikel verwundert: „Wully, wo bisse?“ Pause. „Wir sind aufm Weg zum Shuttle Bus.“ Pause. „Zum Shuttle Bus!“ Pause. „Nein, zum Shuttle-Bus.“ Pause. „Wir sind jetzt da, wo die Shuttle-Busse abfahrn.“ Pause. „Wo die Busse abfahrn. Ziemlich weit draußen, am Ende.“ Er streckt den Arm in die Luft. „Hier, ich heb die Hand hoch.“ Pause. „Jaja, bis gleich.“

Drei Busreihen sind abgefahren. Nun sind wir dran. Meikel hat nen lahmen Arm. Die Mönche steigen ein. Wully fehlt noch immer. Meikel greift erneut zum Telefon: „Hi Wully, ich bin’s. Wir sitzen jetzt im Zug.“ Ilona: „Im Bus!“ Meikel: „Wir sitzen jetzt im Bus.“ Pause. „Ja, im Bus. Wir fahren jetzt nach Rheydt.“ Ilona: „Nicht nach Rheydt – zum Hauptbahnhof!!“ Meikel (irritiert): „Mach du das mal.“ Er reicht Ilona das Handy. Ilona: „Hallo Wully? Du musst in den Bus zum Hauptbahnhof nach Gladbach. Nicht nach Rheydt!“ Pause. „Ja, zum Hauptbahnhof. Nicht nach Rheydt.“ Pause. „Ja, tschüss.“ Sie gibt das Telefon zurück. Meikel: „Danke.“

Etwa zwei Minuten später. Meikel ist beunruhigt, ruft Wully an. „Wully? Wo bisse?“ Pause. „Wiebitte?“ Pause. „Du musst in den Shuttle-Bus nach Gladbach.“ Pause. „In den Bus nach Mönchengladbach, nicht nach Rheydt.“ Pause. „Nein, nach Mönchengladbach. Nicht nach Rheydt!“ Pause. „Nein, nach Gladbach, nicht nach Rheydt.“ Pause. „Nach Mönchengladbach Wully, nicht nach Rheydt!“ Pause. „Nein, nach Mönchengladbach, zum Hauptbahnhof.“ Pause. „Ja, is gut.“

Weitere zwei Minuten später. Meikels Handy klingelt. Meikel geht dran: „Wully?“ Pause. „Ja, aber nach Gladbach.“ Pause. „Nach Mönchengladbach Wully, nicht nach Rheydt! Wo warst du denn überhaupt vorhin?“ Pause. „Wie Pissen. Ich hab doch gesagt…“ Pause. „Ja, aber nach Mönchengladbach.“ Pause. „Nach Gladbach Wully, nicht nach Rheydt.“ Pause. „Nach Mönchengladbach! Nicht nach Rheydt!“ Pause. „Nach Mönchengladbach! Nicht nach Rheydt!“ Pause. „Ja!“ Pause. „Nein!!“ Meikel beendet das Gespräch. Er wirkt gestresst.

Im Bus fühlen sich mittlerweile bestens unterhalten. Meikels Handy klingelt. „Ja, Wully?“ Pause. „Im Zuch?“ Pause. „Ja, aber nach Gladbach. Wir treffen uns dann da am Bahnhof.“ Pause. „In Mönchengladbach, nicht in Rheydt!“ Pause. „Ja, aber in Mönchengladbach.“ Pause. „Ja, aber… – wie, vergiss es??“ Meikel betrachtet sein Handy. „Aufgelegt. Der macht mich wahnsinnig.“

Weitere Versuche, den verschollenen Wully zu erreichen, schlagen fehl. Meikel gibt auf. Dafür kann Paule sich nun ganz auf das Gespräch mit seinem Sitznachbarn konzentrieren. Beide geben Jos Luhukay die Hauptschuld an der anhaltenden Gladbacher Torflaute. Doch dann bringt der Unbekannte als Alternative für den Trainerposten einen gewissen Peter Neururer ins Spiel, was die vermeintliche Fachsimpelei (zurecht) schlagartig beendet.

Am Hauptbahnhof Mönchengladbach angekommen, deckt sich die Gruppe mit Getränken für die Rückfahrt ein. Meikel und Tim verdrücken einen köstlichen Döner für zweifünfzig. Von Wully fehlt jede Spur. Dann die Überraschung: Als wir das Bahnhofsgebäude betreten, wankt er uns entgegen. Er ist mit dem Bus nach Rheydt und von dort aus mit dem Zug zum Hbf gefahren. Respekt – mit soviel Bier im Blut… Ende gut, alles gut?

Auf dem Bahnsteig beschließt Meikel, seine Blase zu erleichtern. Kaum ist er weg, wird der Nieselregen heftiger. Kurz darauf gießt es in Strömen. Meikel kehrt aus den Fluten zurück – zwar in Regenjacke, aber trotzdem völlig durchnässt. Dann kommt der Zug. Wir steigen ein. Wo ist Wully? Schon wieder verschwunden. Ach so, er musste noch zum Klo…

Abfahrt. Angeblich ist Wully an Bord, nur halt nicht bei uns. „Betreuer“ Meikel hat seinen Job an den Nagel gehängt. Man verliert noch eine oder andere Wort zum Spiel am Nachmittag. Die zweite Halbzeit sei doch gar nicht so schlecht gewesen, sage ich. Es seien jede Menge Chancen herausgespielt worden – so gefühlte zwanzig – jedenfalls aber mehr als in der gesamten letzten Erstliga-Rückrunde zusammen. Ich sei einfach nur enorm anspruchslos geworden, entgegnet mir der Präsident. Erschrocken gebe ich ihm Recht.

Nach gut einer Stunde Fahrtzeit taucht Wully wieder auf. Der „Zuch-Schaffner-Führer“ sei beinahe ohne ihn losgefahren, gibt er empört zum Besten, und bis eben sei er bei den „echten Hardcore-Fans drüben“ gewesen. Dann geht er erstmal schiffen. Meikel ist beruhigt. Sonst passiert eigentlich nichts mehr. Vollzählig erreicht man Münster. Ende gut, alles gut also. Bis zum nächsten Heimspiel…

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